Grottiges aus Grottental: kulinarischer Dreck von pampiger Bedienung in düsterer Gaststube … aber richtig gute Spätzle … und begeistert essende Gäste

Ich komme aus dem tiefsten Appenzell und muss – gleichwohl ich dort eigentlich nicht weg will, aber Geld will auch verdient sein – in den Kraichgau. Ich fahre links um den Bodensee herum, um das Nadelöhr Konstanz mache ich einen großen Bogen, dann durch’s  Sigmaringer Land die Alb hinauf. Kulinarisch habe ich in all den Jahren hier oben wenig Lobenswertes gefunden, und auch diesmal bleibt der Landstrich seinem Image treu.

Dabei sah alles auf den ersten Blick so gut aus. Gasthof Grottental, außen pfui, gesichtsloser Bau aus dem 19. Jahrhundert in einem hässlichen Straßendorf an der L440, westlich vom Truppenübungsplatz Heuberg, bei den Soldaten liebevoll und kreativ „Stetten am kalten Arsch“ genannt, kurz vor Balingen, weit und breit sonst kein Gasthaus, in der düsteren Gaststube – draußen auf der Terrasse sitzt trotz des schönen Wetters niemand – reichlich Eingeborene, vor allem Familien, beim Mittagsschmaus, dazu Männer lauthals beim Biere diskutierend am Stammtisch, aus solchem Material sind eigentlich Geheimtipps geschnitzt. Dazu ein Stakkato passender Buzzwords (auf die einer wie ich immer wieder gerne abfährt), auf der Homepage, auf der Speisekarte, sogar auf einem Wandgemälde: erbaut 1847, seit 1881 im Besitz der Familie Stingel, schwäbische Spezialitäten, Wildgerichte, großes Salatbuffet und hausmacher Vesper, eigene Schlachtung, für jeden Gaumen und Geldbeutel, erstklassigen Service, angenehme Atmosphäre, wunderschöner Biergarten, Kinderspielplatz, große Spielwiese für unsere kleinen Gäste unter alten Obstbäumen, immer erstklassige und gute Qualität, bereiten alle Speisen nach Möglichkeit frisch zu ... Rhabarber-Rhabarber-Rhabarber. Stimmen tun davon vielleicht die Jahreszahlen. Man sollte aber auch genauer hinschauen, bevor man sich in kulinarische Räuberhöhlen auf dem Lande begibt. Und 2,5 von 5 Sternen auf Tripadvisor, das ist quasi so etwas wie eine eindringliche Warnung.

„Gefüllte Kartoffeltaschen“, „Maultaschen ‚Gourmet‘ mit Früchten, Rosinen und Käse überbacken“, „Toast ‚Karibik‘ mit Luxuskrabben, Früchten und Salaten“ (Welcher Spezies mögen wohl „Luxuskrabben“ angehören? Ich hätte dabei eher an Norddeutsche Edelhuren gedacht, aber wahrscheinlich bin ich nur hoffnungslos versaut.) … wer so etwas auf Speisekarten schreibt, der sollte kein Recht haben, sich ernsthaft Gastwirt zu nennen; und wer so etwas hungrig auf Speisekarten übersieht, der sollte kein Recht haben, sich ernsthaft Gastrokritiker zu nennen. Also, Gleichstand.

Machen wir’s kurz. Bedienung langsam, pampig, unfreundlich, irgendwas vergisst sie andauernd.  Gulaschsuppe: aufgewärmte Dosenware. Spargel: geschmacklos, verkocht, dazu Hollandaise aus der Tüte und aufgewärmte Kartoffel-Brocken. Salatbuffet: schwäbischer Kartoffelsalat wohl selbstgemacht, aber lausig, der Rest Sauerkonserven, Dressings aus Nestlés grausamen Chemo-Laboren. Zigeunerschnitzel: dicker, nicht geklopfter Schweinerücken im Schmetterlingsschnitt, furztrocken, aus der Fritteuse, wabblige, sich ablösende Panade mit Fett vollgesogen. Zigeunersauce: braune chemikalienschwangere Fertigsauce aus dem Bottich zum Anrühren, darinnen ein paar Stücklein roten Paprikas, das soll wohl aus einer braunen Fertig-Bratensauce eine Zigeunersauce machen. Spätzle: handgeschabt, fluffig, in Butter geschwenkt, mit reschen Butterbröseln darüber, ziemlich perfekt.

Huuups, hat der sich jetzt da verschrieben oder wie denn, wo denn, was denn? Nope. Die Spätzle waren gut, richtig gut. Aber der Rest durch die Bank weg lausig bis inakzeptabel. Da kann also jemand Brettspätzle – vielleicht gibt es ja sogar noch andere gute, gekonnte Gerichte auf der Speisekarte – und verbricht ansonsten solchen kulinarischen Dreck? Das hat mir doch zu denken gegeben. Um mich herum, die Sonntags-Schar hungriger Dörfler, spachtelt was das Zeugs hält, als gäbe es kein Morgen, grad noch, dass sie die Teller nicht mitverschlingen. Aber so langsam wird mir ein logischer Zusammenhang klar. Ich habe mich immer gefragt, wer denn diese kulinarischen Monster sein mögen, die die dunklen Seiten von chefkoch.de & Co. mit ihren Giftmischer-Rezepten voller Soßenbindern, Dosenchampignons, Tütenknödeln, Kochsahne und Seidentofu befüllen. Wohl auf, hier sitzen sie einträchtig beim Spachteln und holen sich neue Inspirationen für die heimische Grusel-Küche. Und doch gibt es bei aller Grottigkeit offenbar überall so etwas wie kulinarische Anker. Spätzle vom Brett geschabt zum Beispiel, Großmutters Bratkartoffeln, Schäufele, Grüne Soße … Um diese kulinarischen Anker herum wird wild und unbekümmert gepfuscht, getäuscht, gepanscht was das Zeugs hält, aber irgendwas muss in jeder noch so schlimmen Küche authentisch bleiben, der Rest ist dann beliebig. Großmutters Bratkartoffeln, Schäufele, Grüne Soße, die bleiben bis in’s hohe Alter in Erinnerung, Großmutters Fertigsuppen, Dosengemüse, naturidentische Aromastoffe und Tütenkartoffelbrei hingegen bedeckt bald der gnädige Mantel des Vergessens.

Grottental, Jürgen Stingel, Alb, Meßsteten, Spätzle

Hotel – Gasthaus Grottental
Familie Jürgen Stingel
Widumstraße 14
72469 Meßstetten-Oberdigisheim
Tel.: +49 (74 36) 371
Fax: +49 (74 36) 85 37
E-Mail: info@grottental.de
Internet: www.grottental.de

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2 Comments

  1. Reinhard Daab

    Hallo Hr. Opl,

    trotz Ihrer großen Erfahrung verwundert es immer wieder von neuem, dass Sie in derartigen Häusern landen. Offenbar haben Sie dafür einen ausgeprägten Riecher.
    Wäre ich in dieser Gegend gewesen, dann hätte ich Ihnen folgendes Restaurant empfohlen:

    Baaders Schützen, Donaueschingen.

    Ein erfahrener Koch der alten Schule, wie es sie heute kaum noch gibt. Außerdem kommt hinzu, dass Clemens selbst in der Küche steht, seine Frau Emma leitet den Service. Manche schreiben, dass es zu teuer wäre, was natürlich kompletter Unsinn ist.

    Beste Grüße

    • Danke für den Tipp in Donaueschingen, probiere ich bei Gelegenheit sicher aus. Und ansonsten suche ich halt immer die authentische, ehrliche Regionalküche, finde sie allerdings nur selten. Aber die Spätzle in Grottental waren tatsächlich richtig gut vom Brett geschabt.

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