Gefüllte frische Morcheln

Wenn es etwas im Internet nicht gibt, dann gibt es es auch nicht … lautet eine weit verbreitete Meinung, die mehr und mehr wahr wird, eine self-fulfilling prophecy des big brothers sozusagen, der Triumph der Virtuallisierung der Realität. Aber ich schweife ab, über Morcheln will ich schreiben, über frische Morcheln und wie man sie zubereitet. Vor dem Zubereiten jedoch steht das Erstehen, und frische Morcheln zu erstehen ist alles andere als einfach. In besagtem Internet nämlich sind diese nicht zu finden, die frischen Morcheln, weder über Google Shopping noch bei Amazon oder ebay und selbst Bos Food, Metro oder Pilz- und Gemüsegroßhändler müssen hier passen. Wo man auch sucht, der Suchbegriff „frische Morcheln“ führt entweder in’s Daten-Nirwana oder auf Seiten, die getrocknete Morcheln feilbieten, aber die sind ja nun mal eben per definitionem nicht gerade frisch. Und getrocknete Morcheln, kommen die mit Preisen von durchaus 500 bis 1.000 EURO pro Kilo fast an die Trüffel-Liga ran. Dabei ist das so eine Sache mit getrockneten Morcheln, der eine liebt sie mit ihrem leicht rauchig-erdigen Geschmack, der andere hasst sie, ein Drittes gibt es nicht. Frische Morcheln hingegen sind viel feiner im Geschmack, nussig, erdig, leichter Karamelton, süßlich … nur bekommen tut man sie kaum. Zuweilen findet man welche mit viel Suchen und Glück auf gut sortierten Stadt- und Wochenmärkten, Dallmayr in München ist hier auch eine sichere Bank, ab Ende März bis Anfang Juni, dann ist es auch schon wieder vorbei mit der Pracht. Die Preisgestaltung für frische Morcheln entzieht sich dabei gänzlich meinem Verständnis, ich habe von 25 EURO bis 400 EURO pro Kilo schon alles gesehen, ich weiß auch nicht, ob es Zucht- und Wild-Morcheln gibt oder (Strahlen-belastete) Osteuropäische, gefälschte Asiatische (wer Trüffel fälschen kann, fälscht auch Morcheln) und unbedenkliche Delikatess-Morcheln aus Frankreich, oder wohlfeile Sorten (vergleichbar mit Sommertrüffeln) und Luxus-Sorten (vergleichbar mit dem Alba-Trüffel), einerlei, wenn ich frische Morcheln sehe, schlage ich zu.

Die Zubereitung frischer Morcheln ist recht einfach – dazu später –, allein die Vorbereitung ist etwas aufwändig. Morcheln haben eine lamellenartige Oberfläche mit ganz, ganz vielen Poren. Und in diesen Poren können Sand, Dreck und auch nicht-vegane Untermieter hausen. Es steht zwar überall, man solle Pilze nicht waschen und statt dessen mit einem feinen Pinsel vorsichtig reinigen, aber das schert mich recht wenig, solange ich die Dinger später brate und dünste (wo Flüssigkeit zum einen verdampft und zum anderen via Wein, Brühe, Sahne wieder zugeführt wird) wasche ich sie auch bzw. brause sie kräftig ab. Außerdem, wenn die Pilze aus freier Wildbahn stammen, wer sagt mir, dass da nicht ein Rehlein kurz vor dem Pflücken noch Pipi drauf gemacht hat, oder Schlimmeres, ne, ne, ich wasche Pilze, besonders Wildpilze. Wenn die Morcheln so von außen gereinigt sind kommt die große Gewissensfrage: innen sind Morcheln hohl, und dort leben oft Spinnen, Käfer, Läuse und weiß der Geier was sonst noch. Will man also die prächtigen Fruchtkörper der Morcheln aufschneiden, um zu sehen, ob der Pudel einen Kern hat, oder reicht es einem, das Innere des Pilzes kurz mit Wasser auszuspülen oder aber vertraut man Mutter Natur, dass so eine kleine gesottene Spinne weder dem Genuss noch der Gesundheit abträglich ist. Persönlich tue ich das Eine, ohne das Andere zu lassen, Ich schneide nämlich die Stiele der Morcheln ab und kann so halbwegs in das Innere schauen und es mit Messerchen, Pinsel oder Wasser säubern. Danach trockene ich alles so gut es geht auf Küchenpapier wieder ab. Man kann die Tuben auch halbieren, bei einer Verwendung in Saucen ist das weniger dramatisch als wenn man die Dinger ganz servieren will, z.B. gefüllt mit Brät, und das geht so:

Zutaten (für zwei Haupt- oder vier Vorspeisen)

  • getrocknete Morcheln (oder preiswerterer Morchelbruch, das tut hier nichts zur Sache)
  • 20 frische, möglichst große, unbeschädigte, nicht vertrocknete Morcheln
  • 100 g Kalbsbrät
  • Kraus Petersilie
  • Cognac oder Brandy
  • 2 Essl. Butter
  • 100 g Thaispargel
  • 1 Schalotte (30 g)
  • Sekt oder trockener Weißwein
  • Trockener Wermut
  • Madeira
  • 100 ml Kalbsjus oder 50 ml Demi Glace
  • 200 ml Süße Sahne
  • 100 ml Crème fraîche
  • Piment d’Espelette
  • Pfeffer, Salz
  • Evtl. Dieses und Jenes zum Sauce-Abschmecken

Zubereitung

  • Getrocknete Morcheln in 50 ml lauwarmem Wasser einweichen
  • Frische Morcheln wie oben beschrieben akribisch säubern, weiße Stiele abschneiden und aufbewahren, innen nach Innenleben Ausschau halten, ausspülen, ggf. weiter säubern, auf Küchenpapier abtropfen lassen
  • Kalbsbrät mit ½ Essl. gewaschenen, getrockneten, fein gehackten Blättern krauser Petersilie, einem Schuss Cognac oder Brandy, einem Hauch Piment d’Espelette, etwas Salz und schwarzem Pfeffer aus der Mühle gut vermischen
  • 1 Essl. Butter in einer Pfanne so erhitzen, dass sie gerade nicht braun wird, Haselnusskern-großes Stücklein Kalbsbrät hineingeben, kurz braten, dann probieren, ob die Würzung stimmt, ggf. nachwürzen und noch ein Stücklein braten und probieren
  • Frische Morcheln mit einem Spritzsack, einer Tortenspritze oder einer Plastiktüte mit abgeschnittener Ecke mit dem Brät füllen
  • Restliches Brät zu kleinen Kügelchen (halb so groß wie die Morcheln) formen
  • Morcheln und etwas später die Brätkügelchen in der Pfanne von allen Seiten gut anbraten, ohne dass die Butter verbrennt; Morcheln enthalten das magenreizende und wahrscheinlich krebserzeugende Gift Hydrazin, das erst nach 6 Minuten Hitze oder aber nach ausgiebigem Trocknen abgebaut wird, roh sind sie giftig; also: sorgsam braten
  • Gebratene Morcheln und Brätkügelchen aus der Pfanne nehmen, warm stellen
  • Einweichwasser der getrockneten Morcheln durch einen Kaffeefilter abgießen, Morcheln selber über dem Filter von Hand ausdrücken, Flüssigkeit auffangen (Sieb reicht hier nicht aus, wenn die Dinger sandig sind, knirscht’s später im Essen), eingeweichte getrocknete Morcheln fein hacken
  • Schalotte schälen und in winzige Würfelchen schneiden; Stiele der frischen Morcheln hacken; 1 Teel. Blätter von der krausen Petersilie fein hacken
  • Untere Enden des Thaispargels abschneiden, Spargel waschen, Stangen in drei bis vier mundgerechte Teile schneiden
  • In der (ungesäuberten) Morchel-Pfanne noch einen Essl. Butter heiß, aber nicht braun werden lassen, gehackte eingeweichte Morcheln andünsten, nach ca. 1 Minuten Schalottenwürfel dazu geben und leicht glasig dünsten, nach ca. 2 weiteren Minuten gehackte frische Morchelstiele dazu geben und mitdünsten, nach 1 weiteren Minute Spargelstücke dazu geben und ca. nochmals 2 Minuten unter Rühren anbraten, ganz leicht salzen
  • Nun Hitze erhöhen, zuerst mit 5 cl Cognac oder Brandy ablöschen, Flüssigkeit ganz einkochen lassen, dann mit 10 cl Sekt oder trockenem Weißwein ablöschen, Flüssigkeit ganz einkochen lassen, dann mit 5 cl trocknem Wermut ablöschen und Flüssigkeit ganz einkochen lassen, dann mit 5 cl Madeira ablöschen und Flüssigkeit fast (!) ganz einkochen lassen (eine ganz leichte Restsüße in der Sauce ist gewollt), dann mit Morchel-Einweich-Wasser ablöschen und Flüssigkeit auf ca. die Hälfte reduzieren, gefüllte Morcheln und Brätkügelchen wieder in die Pfanne geben, dann Kalbsjus oder Demi Glace dazu geben, gut verrühren, dann Sahne und Crème fraîche dazu geben, sämig einkochen lassen, würzen, mit Salz, Pfeffer, Piment d’Espelette abschmecken, vielleicht auch noch ein wenig von Diesem und Jenem, etwa ein paar Tropfen Worcestershiresauce, Zitronensaft, Wein, Senf, … (beim Sterben und im Abschmeck-Finish ist jeder allein!), servieren

Eine „Sättigungsbeilage“ – etwa Nudeln – dazu wäre schade, maximal ein wenig Baguette zum Auftunken der – göttlichen! – Sauce, und Champagner ist durchaus ein geeignetes Getränk zu diesem Gericht

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