Der Achtermann Goslar: charmebefreit hoch 3

Summa summarum: zentral gelegenes Tagungshotel, bestehend aus zahlreichen Anbauten in unterschiedlichen Baustilen rund um einen mächtigen mittelalterlichen Festungsturm, charmbefreite Halle, charmbefreite Zimmer, charmbefreites SPA, großes Tagungszentrum, sehr hübsches, altertümliches Restaurant aus dem späten 19. Jahrhundert mit einer wenig vertrauenserweckenden Speisekarte, unbefriedigendes Frühstück, eigentlich hübsche Terrasse, bei unserem Besuch nur leider trotz bestem Wetter nicht bewirtschaftet, Servicegedanke schwerlich erkennbar, zwischen Frühstück und 18:00 Uhr keinerlei Gastronomie im Haus, insgesamt vielleicht für Tagungen geeignet, unser Privat-Aufenthalt war mehr als unbefriedigend

Ende des achtzehnten Jahrhunderts beschlossen die wackeren Stadtväter von Goslar am Harz (entgegen weitverbreiteten Irrtümern liegt Goslar nicht im Harz, sondern nur an seinem Rande, erst dahinter geht’s den Berg hoch in den Wald, Richtung Clausthal-Zellerfeld und Brocken), die fast vollständig erhaltenen, einst mächtigen Stadtbefestigungen (Goslar war nach Aachen die zweitwichtigste Pfalz der Staufer, auch Dank der Silbervorkommen im nahen Rammelsberg) an Privatleute zu verkaufen und ihrem Schicksal zu überlassen, zum ersten, um die horrenden Instandhaltungskosten zu sparen, zum zweiten, um das Stadtsäckel zu füllen, zum dritten aber vor allem, um durch das Schleifen der engen Befestigungsmauern der Stadt Raum für ihr rasantes Wachstum zu geben. Viele historische Bauten fielen so dem Abriss zum Opfer, so auch der Achtermannzwinger aus dem Jahr 1501; lediglich die Nische mit dem Kaiser-Standbild am Achtermann wurde gerettet und in die Wand des Schäferturms am Rosentor integriert, und so wurde der Schäferturm kurzerhand in Achtermannturm umbenannt. Daher heißt das gleichnamige heutige Hotel rund um den Turm auch nicht „Das Achtermann“ – wie etwas „Das Tyrol“ „Das König Ludwig“, „Das Tegernsee“, und wie all diese modernistischen Kunstnamen mit dem neutralen Relativpronomen vor dem Namen heutzutage alle heißen mögen, sondern eben „Der Achtermann“, von „Der Achtermannturm“ bzw. „Der Achtermannzwinger“. Ende des neunzehnten Jahrhunderts wurde im Erdgeschoss des geretteten ehemaligen Rosen-, jetzigen Achtermannturms ein Restaurant namens „Altdeutsche Stuben“ errichtet, ganz im Stil der Zeit, hier könnten bis heute die Lehrer aus der „Feuerzangenbowle“ ihren Stammtisch abhalten oder Marlene Dietrich vertraut plaudernd mit Konrad Adenauer in einer Nische sitzen, ohne dass man irgendwas umbauen müsste, außer vielleicht den Registrierkassen. Zu dem Restaurant kam recht bald ein Grandhotel im typischen Stil des Historismus, ein ziemlich protziger Schuppen fast direkt am Bahnhof (wie damals oft üblich), am Eingang zur Altstadt Goslars, bestens gelegen. In Laufe der Jahre erweiterte sich Der Achtermann weiter nach hinten, undefinierbare Baustile, irgendwann kam auch noch ein ziemlich großes Kongresszentrum dazu.

Heute betritt der erwartungsvolle Auto-Reisende den Achtermann erst einmal von der architektonisch gänzlich unspektakulären (um nicht zu sagen hässlichen) Rückseite, wo er seinen Wagen in einer ziemlich schmuddeligen öffentlichen Parkgarage abstellen kann; hier gibt es einen Hintereingang direkt in’s Hotel. Es folgen 200 Schritte (ich habe mitgezählt) durch lange, schmucklose Gänge, links endlose Türen zu Hotelzimmern, rechts Fenster zur Bahnstrecke mit reichlich Zugverkehr (in den ehemaligen Stadtgraben vor der Stadtbefestigung – also hinter dem heutigen Hotel – wurden die Gleise der Harzbahn verlegt), bis man die Hotelhalle erreicht. Diese ist gänzlich charmebefreit, da gab’s Interhotels in der DDR, die hatten mehr Charme, Individualität, Gemütlichkeit, Stil; die Hotelhalle des Achtermann kann problemlos mit jeder Hotelhalle eines Zwei- oder Drei-Sterne-Hotels eines französischen Hotelgroßkonzerns mithalten. An der Rezeption dann erstmal Stau, vor uns sind zwei andere Gäste, es gibt wohl Probleme mit der Reservierung. Die junge Dame verweist an ihre Kollegin, die eigentlich für die Rezeption zuständig, aber gerade nicht da sei. Dann sind wir dran, auch uns begrüßt die junge, nicht für die Rezeption zuständige Dame freundlich, mit unserer Reservierung gibt es keine Probleme, nur einchecken könne sie uns leider nicht, das müsse ihre Kollegin – die für die Rezeption zuständig sei – machen, und die sei in vielleicht zehn, fünfzehn Minuten wieder da. Ob wir so lange auf der Terrasse oder in der Hotelbar bei einem Drink warten könnten, frage ich. Nein, antwortet sie, die hätten beide noch geschlossen (es ist 17:30 Uhr!), wir mögen doch in der Charme-befreiten Hotelhalle Platz nehmen. Missmutig stehen wir wartend auf der Terrasse vor der Halle in Sichtweite unseres Gepäcks; hier gibt es gemütliche, überdachte Lounge-Sitzgruppen, alle mit einem Schild versehen, dass Rauchen hier nicht erwünscht sei; Raucher haben sich ein Stockwerk tiefer in den Innenhof des Hotels zu einem Standaschenbecher bei den Mitarbeiter- und Behindertenparkplätzen in den Regen zu begeben. Irgendwann kommt dann die zum Einchecken ermächtigte Mitarbeiterin, vor uns diesmal zwei Holländer mit offensichtlich falsch geschriebenen Namen in der Reservierung, was jede Menge Probleme bereitet, als die dann abgefertigt sind, dürfen wir endlich. Das Hotel hat alle unsere Daten bei der Buchung vorab mehrfach elektronisch erhalten, trotzdem muss ich einen photokopierten Meldezettel – Anrede, Titel, Vorname, Nachname, Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Wohnort, Geburtsdatum – nochmals händisch ausfüllen, die zum Einchecken ermächtigte Mitarbeiterin wartet derweil, überträgt das dann im Schneckentempo in ihren Computer: Hergottssakra, hätte man das nicht schon vor unserer Ankunft erledigen können, alle Daten waren doch schon vor Ort? Das ist offensichtlich ein Service, den es nur in guten Hotels gibt, dort erhält man einen vorab aus dem System elektronisch ausgefüllten Meldezettel, den man nur noch kontrollieren und unterschreiben muss, und in’s System müssen die Daten ja sowieso, egal ob früher oder später.

Nach dreißigminütiger Eincheck-Prozedur erstmal auf’s Zimmer, wieder 200 Schritte zurück durch die endlosen, schmucklosen Gänge. Entgegenkommendes Personal grüßt weder noch grüßt es zurück, sondern geht wortlos vorbei. Ein gewisser Renovierungsstau ist allerorten nicht zu übersehen: angeschlagene Türstöcke, abblätternde Farbe an den Fenstern und zuweilen in Wandecken, unübersehbare Flecken auf den getupften, auf den Gängen tiefblauen, in den Zimmer tiefroten Teppichböden, schwarze Striemen an den Wänden neben der Kofferablage, das ist alles noch im Rahmen, aber tip-top geht anders. 154 Zimmer hat das Haus, dazu zwei – den Bildern nach sehr luxuriöse und stylische – Turmsuiten, bis zu 1.500 Tagungsgäste können in 12 Tagungsräumen abgefertigt werden. Wir haben die mittlere Zimmerkategorie gebucht, hier Komfortzimmer geheißen. Nun ja, geräumig, Blick auf hässliche Hinterhöfe der Altstadt, dafür relativ ruhig, sehr kleines, halbhoch schwarz gefliestes, fensterloses Dusch-Bad ohne Handtuchwärmer, dafür mit brummendem Ventilator, die Basics wie Flachbildfernseher, Tresor in Laptopgröße, Schreibtisch, Bademäntel, ein Stuhl, ein Sessel, … sind da, mehr aber auch nicht, und auf dem dubiosen Teppichboden mag man nicht so recht barfuß laufen. Ein ebenfalls charmebefreites, funktionales Bettenburgen-Zimmer ohne Individualität und Stil, wieder charmebefreit, Wohlfühlfaktor geht anders.

Aber nun auf die Terrasse des hauseigenen Restaurants „Altdeutsche Stuben“, ein Ankunftsbier (es gibt Einbecker vom Fass) trinken und vielleicht was essen. Fehlanzeige. Die Terrasse wird an diesem und auch in den nächsten Tagen trotz mittlerweile schönsten Wetters nicht bewirtschaftet; auch die Lobbybar ist verwaist. Aber man kann selber ein Stockwerk tiefer gehen und sich im gähnend leeren Hotelrestaurant, in dem sich drei Service-Mitarbeiter langweilen, ein Bier holen und mit auf die Terrasse nehmen. Eigentlich könnte die Terrasse recht hübsch sein, nur ist sie minimalistisch – um nicht zu sagen billig und schmucklos – möbliert, und eigentlich hätte man einen netten Ausblick auf alte Gebäude und einen Park, doch während unseres Aufenthaltes haben wir Ausblick auf einen Toilettenwagen direkt vor dem Treppenaufgang, wohl für das gerade stattfindende Stadtfest, man kann die Beladenen beobachten, die das Locus aufsuchen und hernach die Erleichterten, die den Ort wieder verlassen. Die Speisekarte der „Altdeutschen Stuben“ ist ein wildes Sammelsurium von unterschiedlichen Gerichten ohne eigene Linie oder Stil, ich vermute, sehr viel Convenience, kann es aber nicht definitiv sagen, da die Karte nicht dazu in der Lage war, uns zu einer Bestellung zu verleiten. Dazu passt dann auch das Frühstück, dünner Kaffee in Thermoskannen, billige, süße Säfte aus einem Automaten, jämmerliche Wurst- und Käseplatte, warmgehaltene Eipampe, Würstel, Speck, Pancakes, sehr viel Verpackungsmüll, das Übliche halt. Dazu ist das Buffett sehr eng gestellt, so dass es bei größerem Andrang zu Staus, Gedrängel und Wartezeiten kommt. Opulentes Hotelfrühstück geht anders. Nach dem Frühstück ist das Hotel dann bis zur Öffnung des Restaurants um 18:00 Uhr gastronomisch tot, man kann weder einen Kaffee noch ein Bier bekommen.

Der SPA-Bereich mit Pool, Whirlpool, drei Saunen und verschiedenen angebotenen Wellness-Behandlungen ist ganz ok, aber weit entfernt von luxuriös, gemütlich oder stylisch, ein drittes Mal charmebefreit und Wohlfühlfaktor geht anders.

Als funktionales Tagungshotel mag Der Achtermann vielleicht gehen, als Wohlfühlhotel für den privaten Individualreisenden hingegen eher nicht.


DER ACHTERMANN
Hotel und Tagungszentrum Goslar
DER ACHTERMANN aZIS Hotel Betriebs GmbH
Geschäftsführer: Joachim Reinheimer, Gerd Kussmann
Rosentorstraße 20
D-38640 Goslar
Tel.: +49 (53 21) 70 00 – 0
Fax: +49 (53 21) 70 00 – 999
Email: info@der-achtermann.de
Online: www.der-achtermann.de

DZ Ü/F von ca. 104 € bis 190 € (pro Zimmer, pro Nacht)

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