Nehmen wir nur mal an, wir würden Alexander Huber aus Pleiskirchen, den elften Huberwirt, ausgebildet zum Koch im Gasthof Schwarz bei Konrad Schwarz und Markus Kaufmann, dann im Bareiss bei Oliver Ruthardt und Claus Peter Lumpp, im Bründlhof bei Jean Luc Garnier, im Döllerer bei Berhard Hauser und Andreas Döllerer, schließlich bei Hans Haas im Tantris (das nenne ich mal eine solide Ausbildung und Ochsentour), seit 2005 wieder im elterlichen Betrieb im Holzland, seit 2012 Mitglied im Jeunes Restaurateursd’Europe, seit 2013 mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, überhaupt nicht kennen. Nehmen wir mal weiter an, wir wüssten nicht, dass beim Huberwirt ein einträchtiges Nebeneinander von Spitzengastronomie und bodenständiger bajuwarischer Küche auf höchstem Niveau praktiziert wird, und das in einer wirklich angenehmen, gepflegten und doch unaufgeregten Atmosphäre, und nehmen wir auch noch an, wir wüssten ebenfalls nicht, dass hier allein aus Tradition vorwiegend regionale, handwerklich erzeugte Produkte in Bio-Qualität verwendet werden. Nehmen wir einfach mal an, wir wären auf der Suche nach einem schönen, handwerklich gut gemachten, reich bebilderten, gefällig geschriebenen, zeitgemäßen Bayrischen Kochbuch in den Buchladen gegangen und hätten dort nach einigem Blättern „Der Huberwirt. Meine neue Bayrische Wirtshausküche“ von Alexander Huber mit Photos von Mathias Neubauer erstanden.
Unbestritten, das Food-Design und die Photos in dem Band sind sehr hübsch und ansprechend. Die Rezepte beginnen verhalten: marinierter Bergkäse mit Pinienkernen und Rosinen, Rehpflanzerl mit gebratenen Pilzen und Schnittlauchsauce, Petersilienwurzelsuppe, zur Hälfte mit pürierter Blattpetersilie grün eingefärbt und zweifarbig zu Tisch gebracht, das sind alles nette Gerichte, aber gewiss keine auch nur im entferntesten Sterne-trächtige Rezepte. Auch die Kochanleitungen für klassische Wirtshausgerichte – Beef Tatar, Ente, Blutwurstgröstel, Rindsrouladen, … – hauen niemanden aus den Socken, das ist Handwerk, was bitteschön keine Wertung der Gerichte selber ist, die können – trotz oder gerade wegen der Einfachheit – fertig auf dem Teller genial sein, aber die Rezepte sind simpel, traditionell, so oder so ähnlich schon tausend Mal aufgeschrieben, nichts Neues, Eigenes, Weiterentwickeltes (aber – zugegeben – hübsche Photos davon). Und ob ein klassisches Böfflamott zum neuen Gericht wird, wenn man Kartoffel-Küchlein mit Rosinen dazu serviert, oder ein klassisches Szegediner, wenn man statt einen Klecks Saurer Sahne mit Xanthan aufgeschäumten Sauerraumschaum obendrauf pappt, würde ich ebenfalls bezweifeln. Zugegeben, es sind einige inspirierende Rezepte in dem Werk zu finden: panierte, frittierte Spargelstückchen mit frischen Morcheln auf pürierten Kräutern (Grüne Sauce geht gänzlich anders, Herr Huber, das schreibt Ihnen ein Hesse) zum Beispiel, oder mit Aromaten im Vakuum gegarter lauwarmer Waller auf Tomatensalat, oder Buchweizenrisotto mit Mimolette, Steinpilzen und wildem Brokkoli. Hier zeigt sich Huber bodenständig, innovativ, geschmackssicher, solche Rezepte inspirieren, machen Spaß und können aus der Lamäng nachgekocht werden. Und dann gibt es eine lange Liste von Rezepten, die alle demselben Strickmuster folgen. Man nehme eine Grundzutat bester Qualität – Fischfilet, Lammrücken, Hirschfilet, Kalbskoteletts, … –, gare diese Grundzutat schonend auf unterschiedliche Weisen und produziere sodann eine Unmenge Zeugs drumherum, im einfachsten Falle verschiedene Gemüse, Sättigungsbeilagen, Saucen. So kommt das konventionell gebratene Kalbskotelett daher mit Spitzkohlblättern, Petersilienwurzelspitzen, Karotte, grünem Spargel, ausgestochenen Ringen von Knollensellerie, glasierten Schalotten, Karottenpüree, Topinamburpüree, sautierten Steinpilzen und Karottenrohkost, und das alles zu einem einzigen wehrlosen Kalbskotelett. Zu Rücken, Bries und Zunge vom Lamm gibt es Sauerkleesauce, Salat aus gekochtem Getreide, marinierte Marille, Marille aus der Sous vide, Marillenspaghetti und Marillenmacarons. Der in Butterschmalz angebratene Donauwaller wird begleitet von einem Radicchiogemüse, rund ausgestochenen rohen Radicchioblättern, eingekochter Birne, Birnenpüree, Petersilienwurzelpüree, Petersilienwurzelsalat und Birnenchips. Und so weiter. Zuweilen packt Huber dann auch noch Chemikalien aus Adriàs überholt geglaubter Giftküche aus, macht aus Kartoffelbrei mit Kohlendioxyd Kartoffelespuma, aus Birnen ein mit Xanthan stabilisiertes Püree, Weißweinessig wird mit Lecithin aufgeschäumt, aus Schlehen-Gin wird mit Proespuma zu Sloeberry-Gin-Espuma. Und ob ein ökologisch bewusster Mensch guten Gewissens zu einem Koch gehen kann, der vorschlägt, 100 g klein geschnittenen Knollensellerie mit 5 g Meersalz über Nacht im angeschalteten Backofen zu dörren und dann zu Selleriepulver zu verarbeiten, das muss jeder mit sich selber ausmachen. Dazu kommen inhaltliche Patzer, den Schokoladenkuchen (S. 164) z.B. bäckt Huber zu Beginn Rezeptes „halbfertig“, dann geschieht nichts mehr mit dem Küchlein, bis es zum Finish auf Portweinfeigen gebettet auf den Teller kommt; da stellt sich doch die Frage, ob hier ein halbfertig gebackener Schokokuchen serviert wird oder ob hier ein Schritt im Rezept fehlt. Zum Abschluss des Buches gibt es noch Seitenfüller, Grundrezepte für Beurre Blanc und Geflügelfond sowie ein Glossar, in dem so exotische Zutaten wie Balsamessig und Verjus erklärt werden. Ob schließlich die ausführlichen Vorstellungen der Lieferanten des Huberwirts einfach nur nett zu lesendes und anzuschauendes Lokalkolorit sind, oder Herausstellung der Qualität der verwendeten Rohstoffe, oder mediales Kickback an die Lieferanten, auf dass auch sie vom Sterneruhm des prominenten Abnehmers profitieren mögen, mag dahin gestellt sein.
Irgendwie lässt einen das Buch nach der Lektüre ratlos zurück. Die Hälfte des Buches sind hübsche Bilder, Familie Huber, tote Forellen, Bauern auf dem Felde, vor allem aber die beschriebenen Speisen mit tollem Food-Design in nachvollziehbaren und doch ästhetischen Photographien. Positiv anzumerken ist hier auch, dass die Bilder stimmig / richtig sind. Oft kommt es vor, dass ein Rezept z.B. Erbsen vorschreibt, auf dem Speisenphoto dann allerdings Bohnen zu sehen sind; ich bin irgendwie sensibilisiert für solche Patzer, wohl auch, alldieweil ich interessante Kochbücher nicht nur überfliege, sondern lese und betrachte, und dabei finde ich solcherlei Fehler andauernd; nicht so beim Huberwirt, hier sind Rezepte und Speisenphotos tatsächlich konsistent. Chapeau! Die andere Hälfte des Kochbuches unterteilt sich in vielleicht in ein Sechstel Familiengeschichte und Danksagungen, ein Sechstel Lieferantendarstellungen und –lob, ein Sechstel tausendmal gelesene Bajuwarische Standardrezepte, ein Sechstel innovative, nachkochbare, interessante Rezepte, ein Sechstel nicht nachkochbare Anleitungen für protzige Großveranstaltungen auf Tellern (die – nebenbei bemerkt – nur drei Funktionen haben können, nämlich den Sterne-Kollegen zu zeigen, was für ein toller Hecht man ist, den Sterne-Vergebern, dass man sich für Höheres empfiehlt und den Sterne-Zahlern, dass sie ihre Ärsche gefälligst nach Pleiskirchen bewegen mögen, um an dem ganzen Zinnober teilzuhaben, indem sie ihn essen, vor allem aber, indem sie ihn dadurch finanzieren) und schließlich ein Sechstel Seitenfüllern aus Standardrezepten, überflüssigem Glossar und leerem Papier.
Für mich persönlich bedeutet das, dass ich 29,90 EURO ausgegeben habe (Anmerkung am Rande: ich bekomme Kochbücher nicht mit der Bitte um gefällige Beachtung und Rezension mit frei verwertbarem Bildmaterial, Telephoninterviewtermin mit dem Autor und Einladung zum kostenlosen Probeessen vor Ort zugeschickt, ich bezahle die Dinger selber, und das ist gut so …), um ein paar nette Bilder zu sehen und ein gutes Dutzend inspirierender neuer Rezepte zu lesen. Ob das das Geld wert ist? Ich meine: ja.
P.S.: Leider keine Bilder vom Kochbuch, mein Anwalt hat gesagt, ohne Erlaubnis der Urheber kann das richtig teuer werden, also lasse ich’s lieber, statt dessen ein Bild vom Wirtshaus von Cholo Aleman aus Wikimedia