Summa summarum: für den, der historische Gemäuer mag, ein ausgesprochen schöner, stilvoller Ort, komfortabel und doch behutsam restauriert und eingerichtet, Zimmer mit alten Möbeln, mit allem Komfort und gut in Schuss, ambitionierte, gekonnte Küche mit kleinen Patzern, die zuweilen manieristisch über’s Ziel hinausschießt, freundliches, flottes Personal, traumhafte Terrassen mit Rheinblick
Die Besatzer bemühen sich wirklich auf’s Trefflichste, dem Klischee des hässlichen Imperial-Amerikaners gerecht zu werden. Mit der allergrößten Selbstverständlichkeit ist kein Einziger der Deutschen Sprache auch nur ansatzweise mächtig, mit der allergrößten Selbstverständlichkeit wird das Servicepersonal in verschiedensten Derivaten der Englischen Sprache herumkommandiert. Am Nachbartisch sprechen vier ältere Herrschaften einen ganz grässlichen Texanischen Akzent in einer Lautstärke, die vermuten lässt, dass Hörgeräte in Imperial-Amerika noch nicht erfunden sind; man lästert über eine adoptierte Person, die eigentlich gar nicht zur Familie gehöre und macht reichlich Witze über Lateinamerikanische Bedienstete. Am großen Tisch weiter hinten herrscht dieses betont lässige Westküsten-Sprech vor; der Aufprecher am Tisch lässt sich lautstark darüber aus, dass sein Bad im Hotelzimmer hier viel zu klein sei und dass sein Bruder in Hongkong lebe, wo die Hotels Bäder von richtiger Größe hätten. Die Siebzigjährige in rosa Turnschuhen und kurzer Sporthose, die ihre zellulitischen Beine erst so recht zur Geltung bringt, ist ein ganz entzückender Anblick beim Frühstück im historischen Schlossrestaurant. Ein Mann in Shorts mit Gürtel und zusätzlich breiten Hosenträgern füllt sich am kleinen, aber durchaus feinen Frühstücksbuffet seinen Teller übervoll mit Wurst, Käse, Brötchen, Marmelade, Obst; beim anschließenden Vernichten der Lebensmittel fuchtelt er wild gestikulierend mit dem Messer in der linken Hand, kurz darauf verlässt er den Ort des Geschehens, fast alle Lebensmittel ungegessen noch auf respektive um seinen Teller verteilt. Eine junge Frau in Jogginghose hat beide Ellenbogen auf dem Tisch, den Rücken krumm und tief gebückt über eine Schale mit Cerealien, die sie mit einer Geschwindigkeit in sich hineinschaufelt, die nur noch von den lauten Schlürf-Geräuschen, die sie dabei produziert, übertroffen wird. Eine ältere Dame im pinken Kostüm und dickem Goldschmuck erinnert frappant an Evelyn Harper aus „Two and a half men“; am Buffet stapelt sie Kuchen, Wurst, Brötchen, Obst und Käse auf einen Teller, dann will sie noch ein Schüsselchen mit Marmelade füllen, kleckert aber geriatrisch die Marmelade über ihren vollen Teller; wie selbstverständlich stellt sie den Teller auf dem Buffet ab, nimmt sich einen neuen und beginnt erneut, ihn zu füllen: ich liebe die Ehrfurcht der Imperial-Amerikaner vor Lebensmitteln.
Wieder ein ganz seltsamer Ausschnitt des Lebens, diesen Morgen beim Frühstück im Burghotel Auf Schönburg hoch über Oberwesel am Mittelrhein, auf halber Strecke zwischen Koblenz und Mainz, eine Flussbiegung von der Loreley entfernt und mit Blick auf Burg Pfalzgrafenstein mitten im Rhein. Die geballte Schwarmdummheit von tripadvisor hat Auf Schönburg 2015 zum schönsten Burghotel Deutschlands und zum Zweitschönsten weltweit gekürt; aber ich muss tatsächlich zugeben, schön, historisch, ziemlich komfortabel und fürwahr richtig burgig ist es allhier. Und doch hat die Burg viel mehr mit Imperial-Amerika zu tun als man geneigt ist zu vermuten. Mehr als 300 Jahre vor der Geburt des Wiederentdeckers des Amerikanischen Kontinents wurde begonnen, Auf Schönburg zu erbauen, man weiß nicht mehr, ob als Reichsburg oder vom Magdeburger Erzbischof, ist heute aber auch ziemlich egal. Es folgte das ganz normale Leben einer Burg, Kriege, Eroberungen, Wechsel der Burgherren, teilweise Zerstörungen, erdrosselte Pfalzgrafen-Aspiranten, Wiederauf-, Um- und Anbauten, Kaiser Barbarossa lungerte wiederholt hier herum, das übliche Heckmeck halt. Auf Schönburg saßen die Ritter von Schonenberg , die als Reichsministeriale die Anlage als Ganerbschaft vererbten, d.h. nicht der älteste Sohn erbte alles, sondern jeder Sohn erbte zu gleichen Teilen, was zur kuriosen Situation führte, dass im 14. Jahrhundert 24 Familienstämme mit insgesamt 250 Familienmitgliedern in den drei separaten Wohnbereichen der Burg, aber gesichert von gemeinsamen Außenverteidigungsanlagen, lebten, was auch die beeindruckende Größe der Anlage erklärt. To make a long story short, im Pfälzischen Erbfolgekrieg 1689 wurde Auf Schönburg wie die meisten Burgen im Oberen Mittelrheintal von den Franzosen zerstört, der letzte Schönburger verstarb 1719, in seinen „Briefen an einen Freund“ nannte Victor Hugo „den Schönberg eines der bewundernswerten Schuttwerke, die es in Europa giebt“, und so gammelte die Ruine vor sich hin, bis der Deutsch-stämmige New Yorker Immobilienmakler Major Oakley Rhinelander die Burg-Reste 1885 kaufte und bis zum ersten Weltkrieg mit erstaunlicher historischer Akribie und Genauigkeit wieder aufbauen ließ, optisch dominiert vom südliche Palas in roter Fuggermalerei und gleich drei mächtigen Bergfrieden. Also, wir haben gelernt, Auf Schönburg, wie wir sie heute kennen, hat ein Ami gebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg kaufte die Stadt Oberwesel Auf Schönburg von der Erben Rhinelanders, seit 1957 ist sie mittlerweile in der dritten Genration in Erbpacht der Familie Hüttl, die ebenfalls fleißig weiter auf-, um- und ausbaut, und doch sind noch einige Teile der Anlage noch immer Ruinen.
Mit dem Auto kann man steil und kurvig den Berg von Oberwesel bis vor die mächtigen Außenmauern der Burg fahren, dort muss man den Wagen abstellen und noch ein beachtliches Stück durch verschiedene Tore, immer bergauf, bis in den Burghof stapfen (man kann auch schlau sein, kurz vor der Ankunft die Rezeption des Hotels anrufen und sich vom Hausmeister mit einem kleinen, Traktor-ähnlichen Gefährt, das durch die engen Hohlgänge passt, am Parkplatz abholen lassen). Neben dem Hotel wird ein Teil der Burganlage als Kolpinghaus genutzt, ein weiterer als Burgen-Museum, aber der Komplex ist wahrlich groß genug, dass alle genügend Platz finden. Das Hotel ist durch und durch historisierend eingerichtet, wenn man nicht wüsste, dass hier vor 150 Jahren nur ein riesiger Schutthaufen herumlag könnte man glatt glauben, der letzte Ritter habe gerade in voller Rüstung die Burg verlassen, um sich auf einen Kreuzzug zu begeben. Mal blanke, dunkle Sandsteinwände, mal Fachwerk, mal Holztäfelung, mal Wandputz, hier würfeln sich die Baustile und –arten bunt und wild durcheinander, man hat den Eindruck, in einem natürlich mit der Zeit gewachsenen Gebäudekomplex zu sein. Alte Möbel aus dem 18. bis 20. Jahrhundert, niedrige Türen (erstens waren die Menschen früher kleiner, zweitens war ein niedriger Durchgang leichter zu verteidigen, alldieweil der Eindringling sich bücken musste), kleine Fenster, meist mit Butzenscheiben und Bleiverglasung, oft meter-dicke Mauern, einfach toll, selbst die zuweilen nachträglich angebauten modernen Balkone stören kaum. Und doch gibt es einen Lift im Haus, denn die engen, gewundenen Stiegen bis in den 5. Stock sind schweißtreibend. Eine freundliche junge Dame begleitet uns auf die Zimmer und erklärt dabei ein wenig das Haus, im Hintergrund kümmern sich unsichtbar die Hausmeister um’s Gepäck. Ich habe meinem kleinen Sohn das große Zimmer mit Rheinblick gelassen, ich selber hause in einem wirklich kleinen Zimmerchen im Turm mit Burghof-Blick. Klein hin, klein her, und doch ist alles da: Bad mit Dusche, tolle Matratze, ordentliches Linnen, flauschige Handtücher, Hosenbügler, Bügeleisen, Minibar, Regenschirm, Wasch-, Näh- und Schuhputzzeug, genügend Steckdosen, flinkes, kostenloses W-LAN, Flachbildschirm, Ventilator, sogar ein CD-Spieler mit Sony-Boxen und ein paar schnulzige CDs über die Schönheiten des Rheins und den extensiven Genuss seines Weins (nicht nur, dass sich das reimt, Amis mögen so etwas wohl als zusätzliches „Lokalkolorit“). Soweit zur Pflicht für ein Vier-Sterne-Haus. Die Kür besteht aus knackigen Äpfeln, einer Kristallglas-Karaffe mit sehr ordentlichem Sherry als Willkommensgruß des Hauses, einem kleinen, frischen, geschmackvollen Rosengesteck und einem Sprühflakon (einer von der altmodischen Sorte mit dem Bällchen zum pumpen) voll mit Kölnisch Wasser, ein Geruch, den ich seit Jahrzehnten nicht mehr gerochen habe (und der doch unverkennbar ist). Es ist schön hier.
Den Aperitif nimmt man Auf Schönburg am besten auf einer der Terrassen mit Blick ins Rheintal. Auf beiden Seiten des Flusses rattern im Fünf-Minuten-Takt lange Güterzüge, rechtsrheinisch vorwiegend Schüttgut, linksrheinisch Container, wir fragen uns, warum wohl, die paar Personenzüge fallen dazwischen kaum auf. Dieses Rattern geht unaufhörlich weiter, auch des Nachts und ist selbst in den Zimmern, die nicht zum Rhein rausgehen, laut und störend. Ansonsten ist alles – bis auf die Manieren der Besatzer – einfach schön. Der Blick auf den Fluss, die Städtchen und Weinberge, vorbeiziehende Schiffe, die warme Abendsonne, ein Fläschchen heimischer Riesling-Winzersekt, es gibt wahrlich Schlimmeres. Unter den Terrassen erststreckt sich der weitläufige Burggarten quer durch die alten Verteidigungs-Anlagen mit Treppchen, Brunnen, Grotte, Teich, Häuschen, ein wahrlich verwunschener Ort, der nur den Hausgästen vorbehalten ist.
In der Regel bin ich von so wundervollen Orten – lassen wir Hugenpoet und Bensberg einmal außen vor – eine schlampige, lieblose, oft auch lausige Küche gewohnt, weil der Ort allein so schön ist, dass die touristischen Massen wie von selber strömen und dann klaglos essen, was man ihnen überteuert vorsetzt. Nicht so Auf Schönburg. Ich weiß nicht, wer hier kocht, aber kochen kann er/sie fürwahr. Keine abgehobene Sterneküche, aber eine sehr ambitionierte, gehobene, gutbürgerliche Küche, die sich leider auch zu kulinarischen Spinnereien hinreißen lässt … würde ich sagen. Es gibt ein vier-gängiges Menü für 45 €, ein fünf-gängiges für 72 €, und für 31,50 € kann man ein Mini-Menü in Tapas-Portionen erhalten, eine wirklich nette Idee. Das Tartar (auf der Speisekarte steht tatsächlich „Tartar“) von der Hunsrück-Forelle frisch, nicht matschig (wie so oft bei Tatar von Fisch). Das im Kräutersud pochierte Kalbsfilet schön rosa, butter-zart, guter Eigengeschmack, Café de Paris-Sauce dazu verunglückt und bei dem zarten Kräuter-Geschmack des Fleischs eigentlich überflüssig, Tomaten-Spargel-Ragout dazu wieder sehr gut, Spargel noch mit leichtem Biss, das Gratin von Topinambur und Pastinaken überflüssig wie ein Kropf. Auch das gebratene Doraden-Filet tadellos, leicht glasig, sehr lecker die Dijon-Senf-Sauce, die frittierten Rote-Beete-Chips optisch und geschmacklich eine nette Idee, nur warum man die lauwarmen Kartoffelscheiben, auf denen das Ganze serviert wird, „Kartoffel-Carpaccio“ nennen muss, erschließt sich mir nicht. Ein Bisschen weniger rumspinnen, und ein Bisschen mehr auf die Genauigkeit beim Kochen achten, und den ganzen kulinarischen Schnickschnack entschlacken, mehr auf’s Wesentliche reduzieren, und das wäre eine außerordentlich gute Küche in einem tollen Burg-Ambiente. Aber wahrscheinlich wollen die Gäste in so außergewöhnlicher Umgebung auch außergewöhnliche Küchenkreationen, nun ja … Die Weinkarte wird dominiert von rheinisch-heimischen Positionen zu bezahlbaren Preisen, es gibt sogar eine Schönburg-Traube die auf eigenen Weinberger angebaut wird, dazu ein paar Alibi-Franzosen und –Italiener, der Digestiv-Wagen (genau genommen die Digestiv-Vitrine) ist ebenfalls sehr übersichtlich, ein paar Sprit-Freunde haben einen Schönburg-Kräuterschnaps und einen Schönburg-Likör zusammen gebraut, den kein Mensch wirklich braucht. Das Servicepersonal schließlich durchweg sehr freundlich, kompetent, flott, höflich … so wie es halt sein soll, großes Lob.
Burghotel Auf Schönburg
Pächter: Familie Hüttl
55430 Oberwesel
Tel.: +49 (67 44) 93 93 0
Fax: +49 (6744) 16 13
http://www.hotel-schoenburg.com/de/
Email: huettl@hotel-schoenburg.com
Hauptgerichte von 23,50 € (gebratenes Doradenfilet) bis 27,50 € (pochiertes Kalbsfilet)
Doppelzimmer Ü/F 260 € bis 370 € (pro Zimmer pro Nacht)
Und das sagen die Anderen:
- Tripadvisor: 5 von 5 Punkten
- Holidaycheck: 5,5 von 6 Punkten, 90% Weiterempfehlungs-Rate
- Varta: 2 von 5 Diamanten
- Guide Michelin: 2 Bestecke, guter Komfort
- Gault Millau: 14 von 20 Punkten, 1 von 5 Hauben
- Schlemmer Atlas: 2 Kochlöffel