Auf der Suche nach der Deutschen Gastronomie: VIII. Schweineschulze in Celle

Tag 3: Eisennach – Celle, 250 Kilometer, 4 Stunden Fahrtzeit, Übernachtung im Althoff Hotel Fürstenhof Celle, Mittagsimbiss im San Marino, Abendessen im Schweineschulze


Am Abend dann also Schweineschulze. „Seit 1842 Fleischerei und Restaurant August Schulze“ steht in fetten goldenen altdeutschen Lettern auf dem tragenden Querbalken des alten, recht krummen und schiefen, zweieinhalb-geschossigen, schmalen Fachwerkhauses in der Neuen Straße mitten in Celle; und auf Balken darüber in Plattdeutsch „En Vörbild is för uns dat Swien; Dat wiest uns, as wi nich schöllt sien!“ Die Fleischerei gibt es längst nicht mehr, wohl aber das Restaurant, mit dem Beinamen „Das heimliche Rathaus“. Die von Stechpalmen eingerahmte güldene Sau auf dem metallenen Wirtshausschild über der Eingangstür blickt irgendwie zwischen keck, grimmig und bedrohlich, innen drin begegnet einem nämliche Sau wieder auf Speisekarten, Bierfilzen und –gläsern mit nämlichem Gesichtsausdruck, überhaupt ist das Haus voller Schweinereien, sowohl auf den Tellern als auch in Form von mehr oder minder geschmackvollen, mehr oder minder gekonnten Schnitzfiguren und Bildern. Dazu gesellen sich schwere schmiedeeiserne Lampen mit verblichenen, dicken, speckigen Pergamentschirmen, die gelbliches Licht verströmen, an den Wänden Bock-Geweihe, für Hirsche reicht’s in solch einem kleinbürgerlichen Milieu nicht, dazu alte Stiche und Photographien vom gewesenen Celler Alltagsleben, fettschichtüberzogene Motivteller aus Porzellan und Zinn, alte, halbwegs prächtige Bierhumpen – ebenfalls fettschichtüberzogen –, mächtiger Kachelofen, schwere Holzdecke, die Böden halb aus Fliesen, halb aus quietschenden Holzdielen, blanke, abgescheuerte Holztische, massive Stühle und Bänke, Bismarck könnte jetzt und hier eintreten und einen Hering verlangen, Adenauer ebenso, Hitler leider auch, Schröder (den ich keinesfalls mit Hitler in einen Topf werfen will!) war einer der letzten verbrieften Großen hier, Campino oder Roth wären hier eher fehl am Platze, so sieht altdeutsche Gastronomie aus. Es ist proppevoll an diesem Abend, man wünscht sich den alten Geruch nach Tabak zurück, der die Gerüche von Schweiß, Bier, Fett und billigem Aftershave/Parfum stets so gnädig überdeckte, ich würde mal vermuten, die Wähler der Grünen und neufaschistischer Parteien sind hier klar in der Unterzahl, eine Lichterkette bekäme man hier so schnell nicht organisiert, auch keine Diskussion über Bitcoins, eher schon einen altbewährten Fackelzug, aber das sind Bauch- und Eindruck-getriebene Vermutungen. Abseits dieser semi-politischen Scharmützel ist der Schweineschulze in erster Linie zuerst einmal ein niedersächsisches Wirtshaus, wenngleich es dem Reisenden negativ aufstößt, dass hier Andechser Bier vom Fass ausgeschenkt wird: wozu reise ich in’s tiefste Welfenland, um heimisches Klosterbier zu saufen? Aber allemal, im Renner – einem der besten traditionellen Rindfleischlokale Wiens – gibt es schließlich auch Andechser. Zudem bietet der Schweineschulze ja auch noch lokales Herrenhäuser Bier aus Hannover (und einen schädelspaltenden Dornfelder direkt aus der Hölle). Die Speisekarte umfasst exakt 18 Hauptspeisen von drei Spiegeleiern mit Salat und Bratkartoffeln über eine große Nordseescholle „Müllerin Art“ mit Salat und Kartoffeln bis hin zum 200 gr. Rumpsteak mit Champignons, Zwiebeln und Bratkartoffeln, dazu wenige jahreszeitliche wechselnde Gerichte wie Grünkohl oder Spargel, die auf großen schwarzen Tafeln handgeschrieben stehen, schließlich ein paar Suppen und Nachspeisen. Zugeständnisse an Zeitgeist, Besatzungstruppen, Massentourismus und Wirtsfaulheit finden sich konsequent nicht, kein dry aged und kein vegan, keine Burger, kein Flammenkuchen und keine Asia-Pfanne, noch nicht einmal ein Salat, das ist alles sehr sympathisch. Mangels einer verlockenden Vorspeise teilen Caro und ich uns vorab eine gebratene Nordseescholle; der Fisch ist leicht mehliert, einwandfrei in Butter gebraten, leicht krosse Haut, ohne Geruch, und doch ist das „Fisch-Fleisch“ (komische Bezeichnung, stimmt aber so) nicht fest, glasig, strukturiert, sondern einfach breiig und alles andere als wohlschmeckend. Zusammen mit der Tatsache, dass das Viech ohne Kopf und Schwanz serviert wird nährt dies den massiven Verdacht, dass das einfach ein Tiefkühl-Fisch ist, der kurz mehliert in die Pfanne geworfen wurde. Der Salat dazu ist keiner Erwähnung wert, aber die Bratkartoffeln, die Bratkartoffeln sind einfach genial: selbst gekochte und geschnippelte halbfeste Kartoffeln, in Schmalz halb-knusprig gebraten, von einer ganz leichten Fettschicht überzogen, für solche Bratkartoffeln verzeihe ich jede mäßige Scholle. Caro versucht sich sodann einem Eisbein, eine gekochtes Saubeinlein, allerdings von Haus aus ohne die mega-fette, wabblige Schwarte (obwohl es auch Leute geben soll, die das lieben – igit!). Das Fleisch ist reichlich, weich, zart, wohlschmeckend, aber gewisse ohne jede Raffinesse. Das Sauerkraut dazu wohl tagelang gekochte Dosenware, intensiv bis penetrant nach Kohl und sauer schmeckend, ohne sonderliche Würzung, so muss wahrscheinlich Sauerkraut zur Haxe (wenngleich ich mich an Riesling- oder Champagner-Kraut aus dem Elsass oder Apfelkraut aus den Fidern erinnere, die in einer ganz, ganz anderen kulinarischen Liga mitspielen können). Das Paprikaschnitzel ist ein dick geschnittenes Fleisch-Drum aus der Schweinekeule, ordentliches Fleisch, nicht ganz fett- und sehnenfrei, ordentlich paniert und in der Pfanne in Öl ausgebacken, darüber Streifen von frischen Paprika, Zwiebel, Zucchini und Dosenchampignons, kurz in der Pfanne sautiert, das alles macht nicht wirklich Spaß beim Essen. Versöhnen tut dann allein die nächste Portion geniale Bratkartoffeln. Am Nachbartisch isst jemand das Cordon Bleu, ein noch dickerer Fetzen aus der Schweinskeule, gefüllt mit Schinken und Käse, dazu liegt ein Berg von erwärmte Dosenerbsen auf dem Teller. Der Nachbar des Nachbarn isst paniertes Schnitzel mit Spargel, diesmal ein dünneres Drum Fleisch, zu dem Spargel kann ich von puren Ansehen nichts sagen, aber dass die Hollandaise nicht selbst gemacht ist sondern aus der Tüte, das sehe ich gewiss. Unser Apfelstrudel zum Nachtisch ist dann auch TK-Convenience-Industrie-Ware, ebenso das Vanilleeis dazu.


Schweineschulze
Birgit Röder UG (haftungsbeschränkt)
Neue Straße 36
D – 29221 Celle
Tel.: +49 (51 41) 2 29 44
E-Mail: info@schweineschulze.de
Online: https://schweine-schulze.de/

Hauptgerichte von 9,90 € (3 Spiegeleier mit Salat und Bratkartoffeln) bis 24,50 € (200gr Rumpsteak mit Zwiebel, Salat & Pommes), Drei-Gänge Menue von 19,80 € bis 39 €


Der Tag lässt mich etwas ratlos zurück. 08/15 Frühstück im Fünf-Sterne-Hotel, mieser, fettiger Italiener mit Wirtin in Hotpans, dann ein gewiss typisch altdeutsches Lokal mit Bergen von mittelmäßigem Fleisch, wo die Qualität einfach durch Quantität wettgemacht wird, Beilagen verkocht und/oder Convenience, aber geniale Bratkartoffeln und süffiges Bier. Ist das die kulinarische Realität? Armes Deutschland.

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