Ali Güngörmüs: „Mediterran Express“ oder ich bin wohl ein Fossil

Mediterrane Küche ist als Kochbuchthema – mit Verlaub – bereits ziemlich ausgelutscht, die Kochbücher zu dem Thema sind Legion. Spätestens seit Pellegrino Artusis „La vera cucina italiana“ (1891) bereits drei Jahre später von Luise and Paul Günther ins Deutsche übersetzt wurde („Die echte italienische Kochkunst“, Deutsch 1894) sind zuerst die italienische Küche, mit der Zeit dann die Länderküchen der gesamten Méditerranée nicht mehr wegzudenken aus der deutschen Kochbuchliteratur und der deutschen Küche. Auf diesem speziellen Gebiet 120 Jahre und vielleicht tausend, zweitausend, dreitausend Kochbücher später einen erneuten Anlauf zu unternehmen, zeugt von Mut und Selbstbewusstsein. Nun gut, der Artusi liest sich heute sehr altbacken, kompliziert und schwerfällig, die fehlende Bebilderung tut ein Übriges für den modernen Nutzer, nichtsdestotrotz taugt er aber immer noch sehr gut als praktisches, authentisches Alltagskochbuch.

Der neue Güngörmüs ist da viel zeitgeistiger. Neben einer sehr schönen, schnörkellosen Bebilderung mit den fertigen Gerichten (in altbewährter Weise photographiert von Sandra Eckhardt) bietet das Buch gleich zwei value prepositions: jedes Gericht soll sich in max. 30 Minuten zubereiten lassen und max. fünf bis sieben frische Zutaten erfordern, der Rest sollte in jeder ordentlichen Speisekammer vorhanden sein. Die Rezepte sind einfach gehalten und auch von dem Laien in einer sparsam ausgestatteten Fünf-Quadratmeter-Küche nachkochbar. Was dann an Rezepten kommt, ist oft altbekannt, eine Soupe au Pistou, Köfte, Lammspieße, vom Sternekoch vielleicht ein wenig abgewandelt oder aufgepeppt, z.B. eine Dattel auf den gratinierten Ziegenkäse oder etwas Melone zur Tomaten-Bruschetta oder Tapenade auf die weiße Bohnensuppe oder neu kombiniert, z.B. eine Tagliata auf Zitronenrisotto, ein Zitronen-Carpaccio mit Fenchelsalami oder ein Gröstl aus Kartoffeln, Artischocken und Tomaten. Hexenwerk ist das alles nicht, will es auch nicht sein. Es soll dem Lieferando- und Döner-geschädigten Zeitgenossen vielmehr Lust auf’s Nachkochen machen, ohne große Küchenausstattung, ohne große Vorkenntnisse, ohne großen Aufwand, im Vordergrund stehen leicht zu beschaffende Zutaten, Einfachheit bei der Zubereitung und schließlich der Genuss. Dafür macht Güngörmüs Kompromisse: Tiefkühl- oder Dosen-Artischocken, Fertig-Teige aus dem Kühlregal, Dosenbohnen, … Frische Artischocken putzen ist kompliziert, Teige selbst herzustellen aufwändig, Bohnen über Nacht einweichen spontanitätshemmend, all das vermeidet Güngörmüs in seinem „Mediterran Express“, alles ist easy going, unkompliziert. Was Dosenbohnen oder Artischocken aus dem Glas an Logistikaufwand und vor allem an Verpackungsmüll und Mehrkosten bedeuten im Vergleich zu einem Säcklein getrockneter Bohnenkerne oder frischem Gemüse, das blendet der woke, politisch korrekte, ökologische Zeitgenosse wahrscheinlich aus.

Meine Küche ist sowas in weiten Strecken nicht, aber ich bin ein Fossil. Ich bin’s zufrieden, wenn dieses Buch dazu beiträgt, auch nur einem Pappschachtel-Pizza-Fresser die Lust am Kochen und am Genuss näherzubringen, und das vermag es gewiss, denn es ist verdammt zeitgeistig und dazu noch gut gemacht.


Ali Güngörmüs (Autor), Sandra Eckhardt (Photographin): „Mediterran Express: Über 80 Rezepte – In nur 30 Minuten – Mit 5 bis 7 frischen Zutaten“ Gebundene Ausgabe, 224 Seiten, München, 25. März 2024, Dorling Kindersley Verlag (Herausgeber), 24,95 EURO, ISBN-10 :‎ 3831048452, ISBN-13:‎ 978-3831048458

Bilder Copyright © DK Verlag/Sandra Eckhardt

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