Diesmal sitze ich tatsächlich in der Spyglass Rooftop Bar des Archer Hotels mitten in Manhattan, 38 Street, one of the places to be these days in NYC, deutlich mehr Eigeborene als Touristen, Manager und Mangerinnen beim Apéro, gackernde Sekretärinnen, Anwälte, Berater, so eine Mischpoke halt, dazwischen ein paar Hotelgäste, der Blick auf’s Empire State Building könnte kaum besser sein, nur King Kong fehlt mir etwas, auch im Hinblick auf seine aufräumende Tätigkeit. Ich schreibe und trinke, dazu bin ich hergekommen. Ich liebe die Anonymität der Großstadt, man ist fast unsichtbar, solange man nicht die Kreditkarte zückt oder einem Polizisten auf die Füße pinkelt, kümmert sich hier niemand um einen, man ist ein Nichts, ich weiß allerdings auch nicht, was passierte, wenn ich mit einem plötzlichen Herzinfarkt auf der Straße umfiele, ob sich dann jemand kümmerte. Einerlei, ich lasse das mit dem Herzinfarkt einfach. Plötzlich spricht – kreischt wäre der bessere Ausdruck – mich die Frau neben mir unvermittelt an, und das in einer Lautstärke, Tonfall und Idiom, dass es einem leicht die Schuhe ausziehen könnte. „What are you doing?“ fragt sie mich. „I’m writing.“ antworte ich. „How wonderfull, I love that!“ kreischt sie zurück, ohne auch nur für einen Groschen Ahnung zu haben, was ich tue, ich könnte einen Roman schreiben, oder einen Liebesbrief, einen Bussinesplan, eine Bombenbau-Anleitung oder ein Manifest zur Vernichtung des Imperiums, einerlei, she loves it. „Where do you come from?“ Sie versucht, ein Gespräch mit mir in Gang zu bringen. Artig sage ich ihr meinen Wohnort, den sie natürlich nicht kennt, bei „greater Munic area“ klingelt’s etwas, ich frage höflich zurück, wo sie denn herkäme, ihre Antwort habe ich längst vergessen, wir tauschen vielleicht drei, vielleicht fünf Minuten Banalitäten und Platitüden aus, ich werde zusehends genervt. Die kreischende Weibsperson ist mit einer kleinen Clique da, vier Frauen, drei Männer, sie haben offensichtlich mit wenig Alkohol – Prosecco (Italien champagne nennt man das hier), bunten Fruchtsaft-Cocktails und schlechtem Bier – viel Spaß und lassen gleich einen ganzen Saustall raus. Die Frau ist noch nicht einmal hässlich, vielleicht um die vierzig, sehr leger gekleidet, immerhin Piaget Uhr und Todds, dazu – ungewöhnlich im Imperium dieser Tage – ein stinkendes Zigarillo und Whisky-Glas, sicherlich keine Hungerleiderin, aber ob sie ihr Geld selber verdient, ob sie klug geheiratet hat oder ob sie von Haus aus vermögend ist, das vermag ich nicht zu sagen, Manieren, geschweige denn verfeinerten Lebensstil hat sie keinesfalls, ein Voll-Proll, das Idealbild eines kulturlosen, lauten, arroganten Amis halt. Kurz überlege ich konsterniert, ob sie mich vielleicht anmachen will, überlege auch – ich gebe es zu – ob ich mich denn anmachen lasse würde, Wunschdenken oder vorausschauende Eventual-Planung, rein sexistisch betrachtet sind die Titten jedenfalls gut, aber intellektuell betrachtet ist dieses Mundwerk unerträglich, Fressse schlägt Titte, ich würde keinesfalls, selbst wenn ich könnte. Aber ich komme gar nicht dazu, zu könnten, die Frau will tatsächlich nur Konversation machen, eine Plattitüde jagt die nächste, nichts, aber auch wirklich gar nichts in diesem Gespräch ist von Belang, mich interessiert nicht, wo sie herkommt, sie interessiert nicht, was ich mache, wir könnten auch über’s Wetter sprechen oder Radieschen-Anbau, das ist zweckbefreite Kommunikation, es geht nicht um den Austausch von Informationen, es geht allein um Austausch, um Reden, um das Füllen von Leere. Das sind verschwendeter Atem, unnütz abgenutzte Stimmbänder, vergeudete Schallwellen. „Smalltalk“ nennt man sowas ja wohl. Mein Genervt-Sein schlägt langsam in Gereizt-Sein um. „What are you writing?“ fragt die Person schließlich. Soll ich ihr sagen, dass ich Reiseeindrücke aus dem Imperium zusammen schreibe? Besser nicht, dann könnte sie fragen, was genau ich denn so schreibe, und das geht diese Person rein garnix an. Also antworte ich „Basically, I’m writing characters, making words out of them, forming sentences und paragraphs .” „How wonderfull, I love that!“ kreischt die Person, dann verstummt sie kurz, alle ihr Gehirnzellen scheinen intensiv zu arbeiten, schließlich merkt sie tatsächlich, dass mich dieses oktroyierte Gespräch wahnsinnig nervt und ich sie gerade verarschte. Kommentar- und grußlos lässt sie von mir ab und kreischt wieder mit ihrer Clique. Das Kreischen ist zwar noch immer enervierend, gilt aber zumindest nicht mehr mir. Erleichtert schreibe ich weiter.