Es war in den letzten Jahren des letzten Jahrtausends. Ich war auf der Dunklen Seite der Macht, bei den ganz, ganz bösen, mächtigen Buben. Wir arbeiteten wie blöde, gerne 100 Stunden die Woche, wer richtig toll (toll, nicht zwangsläufig auch gut) sein wollte, durchaus auch mal mehr, und verdienen taten wir ebenfalls alle wie blöde, ich dachte zumindest, ich verdiente wie blöde, bis ich merkte, was unsere Bosse sich nahmen, wir bekamen nur Brotkrumen, Brotkrumen immerhin, die uns zu den 3 oder 4 Prozent Bestverdiener der Republik gehören ließen. Ein osteuropäisches Ministerium hatte uns für teures Geld angeheuert, wir sollten vor dem geplanten Börsengang Evidenz dafür schaffen, dass ein Staatskonzern hunderte von Milliarden wert sei. Wir hatten da so unsere Zweifel, aber wir drehten jeden Stein um in dem Unternehmen, bewerteten marode Technik, alte Patente und Bauruinen noch großzügig, rechneten zukünftige Hockeystick-Businesspläne, die hart an der Narretei waren, und trotzdem kamen wir bei allem Wohlwollen nur auf Dutzende von Milliarden, keinesfalls auf Hunderte. Der Minister tobte und schickte uns zurück zu unseren Excel-Sheets. Als wir auch beim nächsten Termin nichts anderes präsentierten, weil es nichts anderes zu präsentieren gab, schmiss uns der Herr Minister kurzerhand raus und heuerte eine andere Truppe, die ihm tatsächlich die Hunderte von Milliarden bescheinigte. Der spätere Börsengang brachte dann trotz alledem nur Dutzende von Milliarden, und der Minister ging beleidigt in Pension. In dieser verrückten Zeit lernte ich echten Kaviar kennen, in einem Luxusrestaurant besagter osteuropäischer Hauptstadt. Der Partner, für den wir arbeiteten, hatte zum Teamdinner geladen. Dabei hatte er zwei Kisten eines sehr ordentlichen Bordeaux-Weines, die er im Privatflieger mitgebracht hatte; „Das Essen hier ist ja schon ganz erträglich, aber die Weine sind einfach Scheiße, die kann kein Mensch trinken.“ hatte er ziemlich arrogant eingangs erwähnt, bevor er mit dem Kellner das Korkengeld aushandelte. Ausgerechnet der Jüngste im Team sagte beim Studium der Speisekarte „Ich glaube, ich probiere mal den echten Kaviar.“ Auch wenn die Preise hier verglichen mit London oder Paris noch moderat waren, war Kaviar doch eine der teuersten Positionen auf der Karte. „Das gibt jetzt doch gleich Ärger.“ dachte ich mir. Weit gefehlt. „Gute Idee,“ sagte der Gastgeber, „den nehm‘ ich auch.“ Nun gut, als braves Herdentier wehrte ich mich nicht und schloss mich an. Es war ein russischer Ossietra Baeri mit den klassischen Beilagen Buchweizen-Blinis, Saurer Sahne, gehackten Zwiebeln und gehacktes Ei und – bei Gottfried – dieses kulinarische Erlebnis riss mich tatsächlich vom Hocker, selten sowas Leckeres gegessen. Tja, und so begab es sich, dass ich eine Zeit lang ein paarmal im Jahr für 100 DM ein 100 Gramm Döschen echten Kaviar aus dem Duty Free von meinen Reisen mitbrachte. 100 Gramm, davon werden zwei Leute mit ein bisschen was davor und danach durchaus satt, und für zwei tolle Steaks zahlte man ja auch an die 100 DM. Also, damals war Kaviar teuer und ein Luxusgut, aber dann und wann mal durchaus erschwinglich, 1 Mark das Gramm, das war so meine Messlatte. Dann kam die große Kaviarkrise, Kaspisches Meer überfischt, ganz Asien wollte plötzlich Europäischen Kaviar, die Preise gingen zeitweise auf 10 EURO das Gramm (also das Zwanzigfache) hoch, und das ist dann eine Liga, in der ich nicht mehr mitspiele, Kaviar verschwand schweren Herzens von meiner Speisekarte.
Tja, und dann kam der Markt und regulierte es, allerortens entstanden Kaviar-Farmen und entlasteten den Nachfrage-Markt. OK, Iranischer Belguga kostet noch immer 2.000 bis 5.000 EURO das Kilo, aber Zuchtkaviar (aus angeblich artgerechter Haltung) gibt es schon für weniger als 1.000 EURO das Kilo, damit wären wir wieder bei dem 1 EURO pro Gramm (OK, früher waren es Mark). Eine Zucht in Deutschland steht ausgerechnet in Fulda und gehört ausgerechnet einer Amerikanerin, einer Nancy J. Beeler aus Prescott (die Geschichte dahinter würde mich ja auch interessieren, wahrscheinlich ein Wirtschaftskrimi). Und die jährlichen 12 Tonnen Fuldaer Zuchtkaviar sind durchaus respektabel, so respektabel, dass ihn Bosfood vertreibt. Also, weder was Geschmacksintensität noch haptisches Erlebnis im Maule anbelangt, kommen die Fuldaer an Iranischen oder Russischen Wildfang heran, aber sie sind um Längen besser als alles, was ich bisher an Italienischem und Chinesischem Zuchtkaviar probiert habe. Der Sterletkaya Kaviar vom Sterlet Stör kostet bei Desietra 820 EURO pro Kilo, geschmacklich halbwegs kräftig, aber breiig im Mund beim Kauen. Wenn man sich diesen Luxus schon leistet, so sollte man nochmals etwas tiefer in die Tasche greifen und für rd. 1.400 EURO pro Kilo den Osietra Kaviar aus Fulda nehmen (nochmals nur zur Erinnerung und „Rechtfertigung“: 100 Gramm reichen dicke für zwei Leute). Dazu die klassischen Beilagen, reichlich Polnischen Wodka und Krimsekt (wobei der Krimsekt eigentlich überflüssig ist).