Meta Maria hat Einspruch gegen das jüngst allhier veröffentlichte Talleyrand-Zitat erhoben („In England gibt es drei Soßen und dreihundertsechzig Religionen, in Frankreich drei Religionen und dreihundertsechzig Soßen.“), sie meint, die Englische Küche sei gar nicht so schlecht. Dazu folgendes Erlebnis: Wochenlange Arbeit bei einem Klienten vor Ort, ein großer Britischer Logistik-Dienstleister nördlich von London, Luton ist hier der bessere Flughafen als Heathrow, von Gatwick braucht man mit den Taxi fast drei Stunden, manchmal auch mehr. Mäßiges Hotel in der Nähe des Klienten, ab 08:00 Uhr mit den Kollegen im Teamraum beim Klienten, Unterlagen sichten, Analysen fahren, Interviews mit Mitarbeitern, Kurzprotokolle, Recherchen im Internet, Telephonate und Mails mit der Zentrale, Informations-Anforderungen, Master entwerfen und malen lassen, korrigieren erneut malen, verwerfen, ganz von vorne anfangen, undsoweiterundsofort, dazwischen Meetings mit dem Klienten, Gespräche mit dem Vorstand, Video-Konferenzen und Telcos mit dem eigenen Overhead, streiten mit dem Staffing über mehr Kollegen, Reisepläne, Vorarbeiten für den nächsten Klienten, … das ganz normale Berater-Leben (sofern man das überhaupt „Leben“ nennen kann) halt, normaler Weise bis 22:00 oder 23:00 Uhr, Mittags ein paar Sandwiches oder Kekse – rausgehen zum Essen in ein Restaurant würde wieder ein, zwei Stunden Zeit kosten, und Zeit ist etwas, das der gemeine Berater als solches am allerwenigsten hat –, beim Arbeitsende um 22:00 Uhr oder später haben die meisten Restaurants ohnehin zu, also rasch im Vorbeifahren mit dem Taxi zu McDonalds oder zum China-Mann etwas „to go“ holen und im Hotelzimmer lauwarm aus Pappe- und Plastik-Behältnissen herausfressen, oder an der Hotelbar zusammen mit den Kollegen, mit denen man in den letzten 14 Stunden fast ununterbrochen zusammen war (und das für viele weitere Tage sein wird) ein mieses Clubsandwich oder ein ebenso mieses aufgewärmtes Stück Tiefkühlpizza zusammen mit einem großen Absacker zum Herunterspülen reinpfeiffen. Das Beraterleben kann so richtig schön sein … aber immerhin verdient man dabei so richtig sechsstellig, mit der Aussicht auf ein baldiges siebenstelliges Gehalt immer als Möhre vor der Nase.
Eines Abends aber begab es sich, wieder aller Erwartung und Erfahrung, dass die Arbeit des ganzen Teams gegen 19:00 Uhr komplett erledigt sein würde. Klar, man könnte jetzt an anderen Projekten parallel arbeiten, sich Gedanken um die Gewinnung neuer Klienten machen, innovative Beratungsprodukte entwickeln, ausgiebig in den Puff gehen, oder aber … oder aber mal so richtig gut und gepflegt dinieren. Ich frage also den örtlichen Direktor unseres Klienten, durch und durch britisch, ein ausgeprägter Oxford-Akzent, der fast ein wenig an Cockney gemahnt in seiner harten Diktion, bestes Elternhaus, Schule in Eton, Studium in Oxford, gebildet, zugleich bauernschlau und blitzgescheit, entsprechend Blitzkariere, Golfer, Segler, Familienvater, weltgewandt und –erfahren, überzeugter und engagierter Tory, wahrscheinlich zu sehr viel Höherem bestimmt als Direktor einer Logistik-Dienstleister-Tochter eines Weltkonzerns, und trotzdem (oder gerade wegen all dem) ein netter, umgänglicher, fast schon kumpelhafter Kerl, ohne Menschenkenntnis würde man ihn wahrscheinlich für eine nette, harmlose Person halten, was er vordergründig auch immer ist, aber wer sich ihm und seinem Fortkommen in den Weg stellte oder auch nur hinderlich wäre, dem Gnade Gott. Da ich mit meinem Team seinem Fortkommen nicht im Weg stehe oder hinderlich bin, wir vielmehr durch unsere Arbeit sein Fortkommen noch befördern, alldieweil wir die Kosten (sprich: Menschen) identifizieren, die er dann einsparen (sprich: feuern) und sich so bei der Konzernspitze mit besseren Ergebnissen lieb Kind machen kann, haben wir ein recht gutes Verhältnis. Also spreche ich ihn an besagtem Abend, an dem sich abzeichnet, dass wir um 19:00 Uhr mit unserer Arbeit fertig sein würden, direkt an: „Can you recommend us a good, typical British restaurant for dinner tonight?“ frage ich. „You have to decide, what you are looking for,“ antwortet er, “either a good restaurant or a typical British restaurant. There is absolutely no intersection between good kitchen and British kitchen. I can state you typical British restaurants or I can recommend you good restaurants, Chinese, Italian, Indian, French …” Das also sagte mir ein typisch-typischer Brite über die Britische Küche, und wer bin ich, einem Briten im Urteil über sein eigenes Land zu widersprechen? Ich war diverse Male – dienstlich-gezwungen und sogar zuweilen freiwillig – in Britischen, meist in Englischen und Schottischen Lokalen, und ich kann dem guten Manne in seinem Urteil über die eigene Landesküche nur Recht geben, wohl wissend, dass im 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht Paris, sondern eben London der Nabel der kulinarischen Welt war. To make a long story short: An dem Abend waren wir beim Inder – war irgendwann ja auch mal Britisch –, und der war wirklich gut.