Karen M. aus M. hat nachgefragt, was denn „unser“ Rezept sei für die Spätzle, die ihr immer so gut schmeckten. Einerseits freut und ehrt mich dieses Schmecken natürlich, andererseits erfülle ich ihr zu ihrem Geburtstage auch gerne diesen Wunsch … zumindest teilweise, soweit es halt geht.
Spätzle, da muss ich zurück zum Zausel aus Lyon, den kolossalen Selbstvermarkter Paul Bocuse, gegen den die Schuhbecks und Lafers, die Kochclowns, die heute die Systemmedien sinnfrei bevölkern (wenigstens kochen sie nicht wirklich, so lange sie vor der Kamera stehen, das hat was von Schadensbegrenzung) erbärmliche Waisenknaben sind. Im Vorwort seiner Neuen Küche schrieb er – was mich vor 25 Jahren bei der Erstlektüre furchtbar aufgeregt hat, heute habe ich verstanden – sinngemäß, er könne nicht sagen, wie viel Mehl man für einen Teig nehmen müsse, da er ja nicht wisse, welches Mehl genau die Hausfrau (die Kochbücher von Paul Bocuse aus den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts richteten sich immer an „die Hausfrau“, die er wie das kleine Dummerchen zu belehren suchte, ein durchgängiger, übelkeitserregender Duktus) zur Hand habe; natürlich könne er genau sagen, wie viel Mehl welcher Qualität man von der So-und-So-Mühle nehmen müsse, von der seine Familie seit 1382 Jahren durchgängig das Mehl bezöge, aber die Hausfrau könne ja vielleicht gerade ein ganz ein anderes Mehl mit gänzlich anderen Eigenschaften zur Hand haben.
Damals habe ich nicht verstanden, damals war Mehl für mich Mehl, Type 405, Aurora mit dem Sonnenstern, dasselbe und einzige, das meine Mutter verwendete, solange ich denken konnte. Heute, einige tausend Kilo selber verkochten und verbackenen Mehles später, bin ich klüger. Mehl ist längst nicht gleich Mehl. Allein beim Weizenmehl unterscheidet man je nach Mineralstoffgehalt bzw. Ausmahlgrad u.a. Type 405, 550, 812, 1050, 1600, 1800; je höher die Typenbezeichnung, desto mehr Mineralstoffe enthält das Mehl, 100 kg Mehl der Type 405 enthält 405 g Mineralstoffe. Nach Mahlgrad bzw. Feinheit unterscheidet man Schrot (Korngröße > 1 mm), Grieß (0,3 – 1,0 mm), Dunst (0,18 – 0,3 mm) und schließlich Mehl (< 0,18 mm). Im Gegensatz zu den Typenbezeichnungen, die in Deutschland – wie sollte es anders sein – einer DIN Norm unterliegen (DIN 10355), ist der Mahlgrad oder die Griffigkeit eines Mehles nicht formal reglementiert und von Mühle zu Mühle, von Mahlstein zu Mahlstein, von Müller zu Müller verschieden. Hilfsweise verwenden manchen Mühlen und Mühlenhersteller hier die DIN 10765 „Untersuchung von Kaffee und Kaffee-Erzeugnissen; Bestimmung der Korngröße von gemahlenem Röstkaffee, Luftstrahlsieb-Verfahren“, um den Mahlgrad normiert zu beschrieben. Für Spätzlmehl gibt es offensichtlich keine genaue Kodifizierung oder Vorschrift, die Aufschriften auf den verschiedenen Spätzlemehl Tüten sind allesamt kryptisch-nichtssagend. Vom Mineralstoffgehalt her wird normaler Weise (lassen wir das ganze Dinkel-, Buchweizen, Soja-, Mais-, Hirse- und Vollkorn-Zeugs mal außen vor) Type 405 oder/und Type 550 verwendet, vom Mahlgrad her meist ein eine Mischung aus Dunst und Grieß.
Soviel also zum Mehl und seinen Möglichkeiten für Spätzle. Als nächstes die Eier. Lassen wir mal bio, Bodenhaltung, Käfig usw. außen vor, ebenso die Frage der Frische, so ergibt sich beim Rezept immer noch die Frage, ob wir bei der Mengenangabe von Eiern der Größenklasse S (unter 53 g), M, L oder XL (73 g und mehr) reden … auch wieder ein ganz schöner Unterschied.
Dann gibt es noch jede Menge weitere Punkte, um die im Spätzleland Glaubenskriege toben: die einen sagen, an Spätzleteig dürfen nur Mehl, Eier, Salz, die anderen sagen, zusätzlich gehören Wasser oder sogar Mineralwasser in den Teig. Nur mit Ei werden die Spätzle fester und kerniger, mit einem Teil Wasser werden sie lockerer, mit Mineralwasser (manchmal sogar Weißbier) wird der Teig noch lockerer. Lockere fluffigere Spätzle erhält man auch, wenn man ein wenig Backpulver dazu gibt. Ein paar Spritzer Essig hingegen machen die Spätzle kerniger. Ein paar Löffel Pflanzenöl im Teig machen die Spätzle geschmeidiger und runder im Geschmack, aber auch unnötig fett, ebenso die Verwendung von Milch oder Sahne. Richtig gelbe Spätzle erhält man, wenn man statt ganzer Eier nur Eigelb verwendet oder den Teig mit Safran (sehr teuer), Kurkuma oder Carotin färbt.
Damit wären aber nur die Variationsmöglichkeiten auf der Zutaten-Seite abgedeckt. Dazu kommen noch die unterschiedlichen Herstellungsgeräte für Spätzle. Klassisch ist natürlich das Spätzlebrett, ein nach vorne abgeflachtes Holzbrett etwas schmaler als der Kochtopf, das angefeuchtet wird, darauf eine kleine Kelle Spätzleteig gegeben, glatt verstrichen, und dann werden mit einem langen, glatten Messer dünne Teigsteifen abgetrennt und in’s siedende Wasser „geschubst“, wo die Streifen – die bewusst und ganz klassisch mal dicker, mal dünner, mal kürzer, mal länger, mal runder, mal breiter sind: handgeschabte Spätzle sehen nie gleich aus – kurz kochen, bis sie hoch kommen und fertig gegart sind. Der Schwäbische Erfinder- und Ingenieur-Geist hat in der Vergangenheit zahlreiche Gerätschaften und Maschinen entwickelt, um Spätzleteig in gekochte Spätzle zu verwandeln: den Dreifußspätzler, die Spätzlemaschine, eine Art Flotte Lotte, den Spätzledrücker, die Hobelmodel, den Spätzleseiher, die elektrische Spätzlehexe … Heute sind in Privathaushalten – natürlich neben dem Spätzlebrett – vor allem das Spätzlesieb, der Spätzlehobel und die Spätzlepresse im Einsatz, um daheim original schwäbische Spätzle zu produzieren. Das Spätzlesieb ist ein rundes oder längliches Stück Metall mit kleinen runden Löchern von vielleicht 5 mm Durchmesser darinnen und einem Rand, dieses wird auf einen Topf mit siedendem Wasser gegeben, sodann Spätzleteig darauf und dieser mit Hilfe eines Teigschabers durch die Löcher in das siedende Wasser gestrichen; dieses Verfahren ergibt allerdings genau genommen keine Spätzle, sondern Knöpfle, kleine, rundliche Teigbällchen (an denen die Soße aus meiner Sicht längst nicht so innig klebt wie an richtigen Spätzle). Ein Spätzlehobel erinnert ein wenig an eine Gemüsereibe, ein vielleicht 30 cm langes, knapp 10 cm breites Stück Metall, wieder mit Löchern unten, an einer Seite einem Griff zum Festhalten, an der anderen zwei kleine Metallzungen, mit denen man den Hobel am Kochtopfrand fixiert, sowie links und rechts je einer Führungsschiene, in die ein nach oben und unten offenes, vielleicht 7 cm hohes Kästchen gesetzt wird, das wiederum mit Spätzleteig befüllt wird und dieser sodann durch Hin- und Herbewegungen des Kästchens in den Führungsschienen durch die Löcher in das darunter befindliche siedende Wasser gedrückt wird. Wenn der Spätzlehobel wieder nur Löcher hat, so werden’s wieder nur Knöpfle; sind an den Rändern der Löcher jedoch kleine, nach unten ragende Metallzungen, so gibt das endlich richtige Spätzle, wobei gilt, je länger die Metallzungen desto länger werden auch die Spätzle. Schließlich gibt es noch die Spätzlepresse, ähnlich einer Kartoffelpresse ein runder Metallzylinder mit langem Griff, etwa in der Größe eines Kaffeepots, unten mit einer Metallscheibe mit runden Löchern von 3 mm Durchmesser, von oben eine fester, passgenauer Metallstempel, der mithilfe eines Hebels in die Presse gedrückt werden kann. Befindet sich Spätzleteig in der Presse, so können dann unten lange Spätzle in’s siedende Wasser gleiten. Erfunden wurde die Spätzlepresse übrigens in den neunzehnhundertdreißiger Jahren vom Maschinenschlosser Robert Kull in Cannstatt, am 01. Januar 1936 startete die Serienproduktion, und am 14. Juni 1936 erteilte das Reichspatentamt in Berlin unter der Nummer 7222891 das Patent für eine „Teigpresse aus einem mit Teigaustrittslöchern versehenen Topf und einem Handstempel“. Eine Kritik der Spätzlepresse ist es immer wieder, dass die Spätzle hier zu gleichförmig, fast wie industrielle Nudeln würden. Die Schwaben wären nicht die Schwaben, hätten sie nicht auch hier Abhilfe geschaffen. 1967 übergab Robert Knull im hohen Alter von 80 Jahren seinen Betrieb an seinen Enkel Max Mauz, und der erfand den Spätzle-Fix, eine Spätzlepresse mit 63 unregelmäßig geformten Löchern, bei der die Spätzle den mit der Hand Geschabten zum Verwechseln ähnlich sehen.
Wahrscheinlich haben Wassertemperatur, Salzsorte, Fallhöhe der Spätzle in’s Wasser und weiß der Geier sonst noch was auch Auswirkungen auf die Beschaffenheit und Geschmack. Lassen wir das mal außen vor, so haben wir bisher als Determinanten für Gelingen, Beschaffenheit und Qualität eines scheinbar so einfachen Gerichts wie Spätzle:
- Mehlsorte, Mineralstoffgehalt und Mahlgrad
- Größe der verwendeten Eier
- Verwendung von Wasser: ja oder nein
- Verwendung weiterer Zutaten wie Essig, Öl, Weißbier, Kurkuma, Safran, …
- Verwendete Gerätschaft zur Herstellung der eigentlichen Spätzle
OK, und jetzt sag mir bitte jemand, wie man vernünftig ein Rezept für Spätzle aufschreiben soll? Ich versuche es trotzdem mal. Das Grundrezept ist eigentlich simpel: pro Portion rechnet man auf 100 g Mehl 1 Ei, eine gute Prise Salz und Wasser so viel es halt braucht … ha-ha
Zutaten:
- 500 g Spätzlemehl
- 5 Eier (Größe M) und ca. 100 – 200 ml Wasser oder 7 Eier und kein Wasser
- Nach Geschmack 2 Essl. Pflanzenöl (für geschmeidigere, vollere Spätzle) oder 3 Essl. Essig (für kernigere Spätzle)
- 1 guter Teel. Salz für den Teig + 2 Essl. Salz für das Kochwasser
- 1 – 2 Essl. Butter
Zubereitung:
- Spätzlemehl in eine Rührschüssel geben, mit 1 gehäuften Teel. Salz vermengen, Eier aufschlagen und dazu geben
- Alles mit den Rührhaken der Küchenmaschine oder den Knethaken des Handmixers verrühren*, bis der Kleber (Gluten) bindet und der Teig zäh und fest wird, das dauert wenigstens 10 bis 15 Minuten; bei Bedarf noch Ei, Wasser oder Mehl dazu geben. Hier versagt jede Vorschrift und Beschreibung, hier hilft nur Erfahrung und Ausprobieren: der Teig soll langsam, zähflüssig und ohne zu reißen vom Kochlöffel nach unten gleiten. Der Teig und die verwendete Spätzle-Gerätschaft müssen auch zueinander passen, eine Spätzlepresse braucht einen etwas leichteren Teig als ein Spätzlehobel. Zu zäher Teig ergibt kurze Spätzle oder Knöpfle, zu flüssiger aber auch. Hier hilft nur ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren.
- Ca. 4 Liter Wasser in einem großen Topf zum Sieden bringen (weniger Wasser würde durch den Spätzleteig zu schnell erkalten), kräftig salzen, eine Portion Spätzleteig (ca. 100 bis 150 ml) hinein pressen, hobeln, schaben, drücken, schneiden (je nach verwendeter Gerätschaft), Spätzle kurz aufkochen lassen, mit einer Schaumkelle sofort aus dem heißen Wasser heben und in einem großen Sieb abtropfen lassen; sofort ein Flöckchen Butter darauf geben und unter die Spätzle heben (damit sie nicht zusammen kleben)
- Vorgang wiederholen, bis der Teig verbraucht ist
- Spätzle können vor dem Servieren entweder kurz in der Mikrowelle erwärmt werden oder in einer großen Pfanne in wenig Butter warm geschwenkt**
* Traditionell nahm die Schwäbische Hausfrau hier eine große Tonschüssel, die sie zwischen ihren Oberschenkeln festklemmte und der Teig darin wurde dann mit dem typischen Spätzle-Löffel, einem der Schüsselform angepassten Holzlöffel mit Loch in der Mitte 15 bis 20 Minuten von Hand geschlagen, bis der Kleber im Mehl abband und der Teig seine richtige zäh-feste Konsistenz bekam: ein schweißtreibendes Unterfangen, und danach noch zum Spätzle schaben und kochen an den heißen Herd.
** Ich mache Spätzle nie à la minute (außer für Kässpätzle), ich bereite sie immer vor und erwärme sie nur noch vor dem Servieren. Und nach dem Spätzle-Machen sieht die Küche prinzipiell wie’d Sau aus, egal, ob man 4 oder 20 Portionen macht; von daher mache ich meistens gleich eine große Menge und friere den Rest in Portionen ein.
Soweit zum Rezept – oder Nicht-Rezept – für – scheinbar!!! – ganz einfache Spätzle. Damit wäre noch nichts gesagt zum Thema Spinat-, Bärlauch-, Nuss-, Kräuterspätzle, ganz zu schweigen zur Spätzle-Kür einer jeden Hausfrau und zum regelmäßigen Spätzle-Waterloo der meisten Restaurants, den Käsespätzlen. Und mein Großer hat mir gestern eine neue Eigenkreation zum am Knochen gebratenen Rehrücken vorgesetzt: Steinpilzspätzle. Dazu hat er eine Hand voll getrockneter Steinpilze im Mörser pulverisiert und unter den Spätzleteig gehoben: genial!
Happy birthday, Karen!